Was sollen wir als Christen in diesen Tagen der "Pegida"-Demonstrationen und Frankreich-Attentate tun?

Auf diese spannend Frage hat mein Vater, Christian Kohler, in seiner letzten Predigt am 11.01.15 in Kemnat (Ostfildern), wie ich finde, sehr gute, weise und wegweisende Antworten gefunden.

Viel Spaß! :-)

Stürmische Tage in Europa! Unwetter im Herzen des alten, des Kern-Europa: In Frankreich, aber auch in Deutschland! 

Keinen von uns hier wird es kalt gelassen haben, was sich seit Mittwoch, 7.1. ereignet hat: 
Mitten in Paris ermorden zwei Männer 12 Menschen und werden am Freitag dann selbst erschossen. Ein dritter Terrorist  nimmt sich Geiseln, erschießt vier von ihnen, und wird dann ebenfalls von der Polizei bei der Erstürmung des Supermarkts erschossen.

Eine Blutspur, die mehr zurücklässt als zerstörtes Leben.
Ein Angriff auf das Herz, den inneren Kern der Demokratie: 
Das Recht auf freie Meinungsäußerung! Auch wenn diese freie Meinungsäußerung im Falle von Karikaturen, von Satire oft überzeichnet, grell beleuchtet, verletzt. Mühsamst ist dieses Recht in Europa erkämpft, verteidigt worden und in Zeiten der Diktaturen wie unter den Nazis oder in DDR-Zeiten auch wieder verloren worden. Die Sozialistin Rosa Luxemburg hat den berühmten Satz geprägt, dass „Freiheit immer die Freiheit des Andersdenkenden“ ist, so mühsam und schwer zu ertragen das manchmal erscheint.

Auf dieses Recht haben die Attentäter von Paris gepfiffen, nein: gezielt geschossen! Sie konnten, sie wollten nicht ertragen, dass insbesondere Mohammed, der Prophet, über-zeichnet, er und damit aus Sicht der Attentäter der Islam insgesamt in den Schmutz gezogen wird.

So ungefähr stelle ich mir, aus der Entfernung, die Gefühls- und Entscheidungslage dieser Al-Kaida-Männer vor. 

Und damit sind wir mitten in dem, was in diesen Tagen alle Medien, alle Politiker, alle Religionsvertreter beschäftigt.
Und heute auch uns, es geht aus meiner Sicht nicht anders!
Wir suchen, wir müssen suchen nach Deutungen, nach Wegweisungen für die Zukunft. 

Und die Zukunft beginnt ja spätestens morgen im Betrieb, wenn sich Türken, Italiener, Griechen, Kosovo-Albaner, Deutsche der xten Generation wieder sehen, miteinander arbeiten, miteinander zurecht kommen müssen.
Kemnat stellt da fast eine Insel dar, weil wir nur in geringerem Maße an der multikulturellen Gesellschaft, zumindest sichtbar, teilhaben.

So geht es neben der großen Frage nach der Freiheit um die Frage der Religion!
Darum also, wenn wir das aus dem Lateinischen stammende Wort ernst nehmen, was uns eigentlich „zurückbinden“, „relinquere“ anbinden soll und will an die Gottheit.
Und uns, durch die „religio“, rückbinden soll, ver-binden miteinander.
Und was uns doch, nicht erst seit dem Attentat von Paris, zunehmend von einander unterscheidet, ja trennt.

Selbst eine so liberale Tageszeitung wie die „Stuttgarter Zeitung“ überschreibt ihren gestrigen Leitartikel mit „Angst vor dem Islam“.  Und die Ergebnisse der Untersuchung der Bertelsmannstiftung, vor drei Tagen, veröffentlicht, bestätigen den Eindruck einer wachsenden Angst vor dem Islam in Deutschland.

Angst ist immer ein schlechter Ratgeber!
Weil sie, wie ihr Name schon sagt, „eng“, „angus“ macht, das Fühlen, Denken, Handeln. Weil man keine Alternative mehr zu sehen vermag. Und zum Beispiel nur noch um sich schlagen kann!

Was also sollen wir in diesen Tagen und Wochen, in denen auch gerade in Deutschland durch die „Pegida“- Demonstrationen soviel rumort, sich zusammenbraut, irgendwann ein Ventil für angestaute Ängste braucht, tun?
Wir als Christen?!
Wir, die wir hier in der Kirche beisammen sind, uns in großer Freiheit und Disziplin einander und Gott zuwenden, und heute mit besonders viel Fragen und sehr unterschiedlichen Gefühlen hierher gekommen sind.
Was sollen wir tun?!

Typisch für Christen ist oder sollte sein:
Dass wir nicht einfach in irgendeine Art von Aktivismus verfallen.
Sondern ganz bewußt vor Gott innehalten.
Ganz bewußt das Rasen der Gedanken, der Gefühle, der Unsicherheiten und Ängste darin unterbrechen, dass wir Gottesdienst feiern: Und das heißt doch, dass wir in Gebeten, Liedern, der Predigt von wegschauen zum unsichtbaren Gott hin.

Der für uns alle Christen genauso unsichtbar ist wie für den Moslem oder den Juden.
Der für uns genauso heilig, einmalig, fordernd und fördernd ist wie für den Moslem und Juden.
Der uns, nach unserem christlichen Glauben, allerdings sich selbst ganz, ganz besonderer Weise erschlossen hat: in Jesus Christus, an den wir als Christen glauben, dessen Namen wir tragen!
Im Sinne von: Ja, wir glauben, es ist unser Bekenntnis, dass sich Gott in Jesus gezeigt hat, zu uns kam, Mensch wurde, und in seinem Leben, Tod und Auferstehen seine Liebe gezeigt hat!

Darin auch liegt für mich die Antwort auf die Frage, was wir tun sollen, liebe Gemeinde: Als Christen sind wir an die Liebe Gottes in Jesus Christus gebunden! Wir dürfen, in der Nachfolge Christi, nicht Gleiches mit Gleichem vergelten! Wir haben Nächstenliebe zu praktizieren. Nächstenliebe in ihrer intensivsten und schwersten Form der Feindesliebe. 
D.h. praktisch: wir sollten, wo immer es geht, auf den Fremden, auf den Andersgläubigen zugehen. Ohne unseren Glauben zu verleugnen! Aber auch ohne den Anderen zwangsbekehren zu wollen. 

Wir sollen, immer, den Weg der Versöhnung, der Vergebungsbereitschaft gehen!
Bis hin zum Extrem, dass es uns, wie Jesus, das eigene Leben kosten kann.

Das heißt für mich aber auch ganz klar: Wir können nicht an einer Pegida-Demonstration teilnehmen. So sehr ich meine, dass politisch gesehen, die Ängste, die sich doch äußern, die Frustrationen auch, ernst zu nehmen sind. 

Aber wir können und dürfen als Christen nicht ein gesellschaftliches Klima von Ressentiments und Schuldzuweisungen mit schüren!

Wie ich es in meiner Neujahrspredigt gesagt habe: Die Gefahr ist groß, dass sich die diffusen Gefühle mehr und mehr ihre Objekte, ihre Haß-Objekte, ihre „Sündenböcke“ suchen und sich für fremdartig aussehende Menschen ein immer feindseligeres Klima entwickelt, das sie schließlich zu Opfern werden lässt.
Und diese schreckliche, unselige Haltung der Massen hatten wir schon einmal in Deutschland, wenn wir nur an die „Reichsprogromnacht“ vom 09.-11.11. 1938 denken.

Nein! Uns ist im letzten die Liebe als „Feindes-Liebe“ aufgetragen!

Die geistliche Herausforderung wird und muss uns ins Gebet treiben.
Dass wir Gott unsere leeren Hände, unsere schwierigen Gefühle der Unsicherheit und Angst innerlich hinhalten und IHN um sein Helfen, SEINE Liebe, SEINEN Geist, bitten!

So sind und bleiben Christen angewiesene Menschen! Auf Christus, den Auferstandenen angewiesene Menschen. Die mit seinem Satz leben: „Ohne mich könnt ihr nichts tun!“ (Johannes 15,5) Könnt ihr nichts von dem tun, was die Spaltungen, die Aus- und Abgrenzungen immer wieder überwindet.

ER, der menschgewordene Gott, stärke Sie, Dich und mich darin in der Nachfolge Jesu zu bleiben!

Pfarrer Christian Kohler  

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hi! Hier kannst du einen Kommentar schreiben. Geht auch anonym. Ich freu mich über jeden Kommentar!